Datum:04.09.-06.09.2020
Autor: Melanie
Tour-Nr.:2020-T-29
Da lag ich also nun. Kurz zuvor hatte ich noch von einem Cappuccino auf der bereits in Sicht liegenden Totalphütte geträumt.
Ich dachte immer, die Unfälle passieren an den schwierigen und kniffligen Stellen. Aber ebenso häufig trifft es einen wahrscheinlich auch an scheinbar harmlosen Stellen. Wie in meinem Fall.
Der Abstieg vom Gipfel der Schesaplana war nicht schwer. Man musste eigentlich mehr darauf achten, rechtzeitig die passende Stelle zu finden, um den Gegenverkehr vorbeizulassen. An dem sonnigen Tag war gefühlt alles auf den Beinen, um den Gipfel zu erklimmen oder eben wieder davon abzusteigen.
Der Hang war steil, hatte jedoch eine großzügige Breite. Viel Geröll lag herum, der Weg war aber fast frei. Plötzlich rutscht mein rechter Fuß weg und ich fliege nach hinten. Mit dem linken Fuß versuche ich noch den Fall zu bremsen, doch vergeblich. Ein heftiger Schmerz im linken Knöchel ließ mich schon ahnen, dass mehr passiert war als nur ein einfacher Stolperer.
Ich war noch damit beschäftigt, den Schmerz wegzuatmen und mich gedanklich zu sortieren, da stand auch schon die ganze Gruppe um mich herum und hat sich gekümmert. Das ist das Schöne, wenn man mit DAV’lern unterwegs ist. Die schauen nicht lang und helfen sofort.
Das Gepäck aus meinem Rucksack wurde ruckzuck verteilt und mein Fuß wurde bandagiert.
Der Unfall passierte auf ca. 2.700 hm. Ich hatte die Totalphütte (2.385 hm) im Blick und dachte mir: „Das schaffst du.“ Die ersten paar Schritte haben mich allerdings schnell eines anderen belehrt. Ich konnte kaum auftreten. Es tat höllisch weh.
Roland gab mir jede mögliche helfende Unterstützung und so schaffte ich noch ein paar Meter bergab zu einem kleinen Plateau. Birgit versuchte inzwischen die Bergrettung (Tel. 112; Anmerkung: die wichtigen Nummern stehen auf dem DAV-Ausweis!) zu erreichen. Das Telefonat hatte schon fast etwas von einem Theaterstück mit „Emil“.
Nach langem (!) Klingeln ging endlich eine Dame ran. „Gruezi“ – „Wir sind auf dem Abstieg von der Schesaplana Richtung Totalphütte auf ca. 2.700 hm. Eine aus der Gruppe ist gestürzt und hat sich den Knöchel verletzt.“
„Schesaplana Richtung Totalphütte?“ – „Ja.“
„Dann sind Sie ja auf der österreichischen Seite, odrr?“ – „Ja.“
„Dann sind wir net zuastandig. I due Sie verbinda…“
Birgit hat alles super gemanagt und blieb die Ansprechpartnerin für die Bergrettung. Ein Glück, dass wir guten Handyempfang hatten! Ein Glück auch, dass wir unseren Standort gut beschreiben konnten und dank des GPS von Roland auch eine recht genaue Höhenangabe machen konnten.
Mein erster Merker kommt hier:
Die Tour vorher gut ansehen. Aufmerksam bleiben. Orientiert bleiben. Sollte man keinen Höhenmesser dabei haben, vorab nachschauen, wie man GPS-Koordinaten aus dem Handy ablesen kann.
Während wir auf dem Plateau auf den Hubschrauber warteten, kam ein Bergführer von der Bergwacht heraufgelaufen. Er war offensichtlich privat unterwegs, hat sich aber sofort gekümmert. Mich hat er nochmal ausgefragt und nach meinem Gesundheitszustand gefragt. Birgit und ein paar andere hat er eingewiesen wie man sich verhält wenn der Heli kommt.
Mein zweiter Merker:
Der Hubschrauber braucht ein möglichst freies Feld, auf dem er landen kann. Dieses Feld gilt es farbig zu markieren. Die Flugrettung wird fragen, woran sie die Gruppe erkennen kann. Gut sind Kleidungsstücke oder Rucksäcke mit leuchtenden Farben wie Rot oder Orange.
Kommt der Heli, stellt oder kniet (Rotorblätter!) sich eine Person an den Rand des gedachten Landeplatzes und formt mit den Armen ein Y. Auch wenn der Heli auf einen zukommt, verlässt man seine Position nicht. Der Pilot braucht die Person zur Orientierung. Erst wenn der Helikopter gelandet ist, die Bergretter ausgestiegen sind und man von diesen die Erlaubnis bekommen hat, sich entfernen zu dürfen, darf man auch wieder gehen.
In der Theorie hört sich das alles sehr einfach an. In der Praxis war es doch wieder anders.
Der Helikopter kam schneller als angekündigt, die Gruppe hatte sich noch nicht vollständig sortiert und der Landeplatz war noch nicht markiert worden.
Es lief aber dann doch richtig gut.
Birgit war über das Handy mit der Besatzung verbunden und der Bergführer hat den Helikopter eingewiesen.
Mein dritter Merker:
So schwer und so aufregend es ist: koordiniert bleiben, zügig die notwendigen Vorbereitungen treffen.
Ein unglaublich freundliches Team von der Vorarlberger Bergrettung hat mich dann aufgenommen und nach kurzer Untersuchung zum Helikopter eskortiert.
Ich wurde in das Krankenhaus nach Feldkirch geflogen.
Dort wurde ich geröntgt und untersucht. Die Ärzte dort haben nur einen Außenbandriss festgestellt und mir eine Schiene gegeben.
Nach nicht mal 20 Minuten stand ich auch schon wieder draußen.
Da musste ich mich erst mal sortieren. Ich hatte zwar alle meine Sachen wieder, doch keine Unterkunft und auch keinen Schimmer wie die Gruppe und ich wieder zusammenfinden sollten. Ein Arzt hatte mir tatsächlich vorgeschlagen, dass ich doch den Bus zum Bahnhof nehmen und mich in einen Zug nach Bludenz setzen sollte. Von Bludenz aus könne ich ja ein Taxi oder den Bus ins Brandnertal nehmen.
Auch wenn das Laufen mit der Schiene besser ging, war mir nach wenigen Schritten klar, dass ich an diesem Tag nicht mehr weit laufen werde.
Die Sekretärin der Unfallambulanz hat mir dann ein paar Hotels in der Nähe genannt und ich konnte in eines einchecken.
Mein vierter Merker:
Immer etwas mehr Bargeld und vor allem die EC-Karte oder Kreditkarte mitnehmen.
Am nächsten Morgen konnte mich die Gruppe am Hotel einsammeln und wir konnten gemeinsam die Heimfahrt antreten. Darüber war ich froh.
Zu Hause ergab dann das MRT, dass nicht nur das Außenband gerissen, sondern auch das Schienbein gebrochen war. Ich hoffe, dass alles gut verheilt und ich nächstes Jahr wieder in die Berge kann.
An dieser Stelle möchte ich mich bei der ganzen Gruppe, vor allem aber bei Roland und Birgit, für die Unterstützung und die rührende Sorge bedanken! Vielen, vielen lieben Dank!
Gedanken im Nachgang:
Meine Bergrettung lief völlig reibungslos ab. Dies lag vor allem daran, dass die Wanderleitung einen kühlen Kopf behielt und die Organisation übernommen hat.
Es lag aber auch am perfekten Wetter und am sehr gut geeigneten Landeplatz. Der Helikopter konnte fliegen. Er konnte landen und das professionelle Team musste mich nur beim Laufen unterstützen. Wäre eine der Bedingungen schlechter gewesen, so hätte die Lage schnell anders ausgesehen. In den Bergen kann die erste Sorge ganz schnell nicht mehr dem Abtransport der Verletzten gelten, sondern: „Wie überstehen wir die Zeit, bis Hilfe kommen kann.“
Mein fünfter und letzter Merker:
Immer Notfallausrüstung dabei haben. Auch wenn es noch so warm ist, Handschuhe, Mütze und warme Wäsche einpacken. Erste-Hilfe-Set, Biwaksack und Taschenlampe. Und eine Notfallration Essen und Trinken.